Die Stadt des schüchternen Windes

Perpignan, c’est le vin et le vent.

Perpignan, das ist der Wein und der Wind. Dieser Satz geht mir durch den Kopf, während ich im Abendlicht die Avenue du Général de Gaulle entlang laufe, meinen Feierabend-Highway unter Palmen. Seit zwei Wochen arbeite ich nun von Perpignan aus, und wie ich mit leichtem Schrecken feststelle, ist noch kein Tag vergangen, an dem ich nicht ein Baguette verzehrt habe, von dem morgendlichen Pain au Chocolat ganz zu schweigen. Dazu kommen Köstlichkeiten wie Macarons und Rotwein. Kulinarische Klischees erfüllen, das kann ich, die Franzosen aber auch.

Il faut profiter de la gastronomie française!

Cafés und Bistros übertrumpfen sich mit den zuckrigen oder deftigen Schlemmereien, die sich hungrige Büromenschen in ihrer  Mittagspause als French Cuisine herbeisehnen.

An bunten Cafés, Bars und vor allem Crêperies mangelt es Perpignan nicht.
An bunten Cafés, Bars und vor allem Crêperies mangelt es Perpignan nicht.

Jedes Restaurant ist zugleich eine Crêperie, und die pause déjeuner hält hier schon mal bis zu zwei Stunden an. Schließlich muss man sich durchtesten können, über den Büchermarkt auf dem Place François Arago schlendern oder doch in den Bus springen und eine kurze Brise Meeresluft erhaschen.

Wir haben drei verschiedene Arten von Wind in Perpignan, erklärte mir Florence an meinem ersten Tag auf dem Weg zu meinem Haus. Es gibt den warmer Wind hier, aus der Saharawüste. Den wilden Wind aus den Pyrenäen, der Haare und Palmen zerzaust und einen im nächsten Augenblick mit mächtigen Böen zum Innehalten zwingt. Und den schüchterner Wind, einer sanften Brise gleich, der selbst in der Mittagssonne am Ufer des Têt allgegenwärtig scheint.

Das Castillet ist das letzte Überbleibsel der Stadtbefestigung und zählt zu den beliebstesten Perpignan Sehenswürdigkeiten.
Das Castillet ist das letzte Überbleibsel der Stadtbefestigung und zählt zu den beliebstesten Perpignan Sehenswürdigkeiten.

In meiner Pause streune ich durch die gemütliche Altstadt von Perpignan, bei der man immer wieder am Castillet landet, dem letzten Überrest der ehemaligen Stadtbefestigung von Perpignan.

Großstadtgedanken und Kleinstadtgefühle

Alte Motorräder stehen in den Gassen und lassen Erinnerungen an Peru aufkommen, die Menschen missachten vorsätzlich die Ampelschaltung (wie in Berlin) und überqueren die Zebrastreifen so, dass ganze Busse eine Vollbremsung machen (nicht wie in Berlin).

Direkt neben der Kathedrale von Perpignan beginnen die Straßen und Gassen zugleich bunter und leerer zu werden.
Direkt neben der Kathedrale von Perpignan beginnen die Straßen und Gassen zugleich bunter und leerer zu werden.

Franzosen und Zebrastreifen, habe ich immer gehört, das geht einfach nicht. Niemand beachtet Zebrastreifen in Frankreich. Doch in Perpignan scheint das Gegenteil zu gelten, so selbstbewusst schreiten alle ohne nach links oder rechts zu gucken über die Straße. Ein penibles Thema sind für viele Einwohner offenbar (überhaupt nicht wie in Berlin) bunt gefärbte Haare, Männer in Frauenkleidung, Gesichtstattoos und -piercings und (genau wie in Berlin) der Hundekot. So werden hier sämtliche Hinterlassenschaften aufgesammelt (ganz und gar nicht wie Berlin), selbst wenn der Hund diese brav auf der Wiese, im Wald oder im Schnee verrichtet hat.

Die Innenstadt ist behangen mit Plakaten, die zweisprachig von Kunstausstellungen, Konzerten und Kinofilmen verkünden, steckt voller bunter Seitenläden und offener Cafés. Man ist stolz auf Katalonien, wirbt mit Spezialitäten und der Sprache, die auch an einigen Schulen der Region unterrichtet wird.

Mitten in der Altstadt von Perpignan.
Mitten in der Altstadt von Perpignan.

Die blauen Messingschilder mit den Straßennamen hängen in Perpignan auf beiden Seiten der Wege, einmal auf Katalan, einmal auf Französisch. Ich wohne im Carrero del Poeta, der Sackgasse des Poeten, nebenan befindet sich die Straße der singenden Brunnen. Die großen Häuser mit ihren zersprungenen Mosaikscheiben und von Efeu sowie Zitrusgewächsen überwucherten Mauern sehen aus, als seien sie in ihrer Prachtzeit einmal Villen gewesen, und machen den klangvollen Bezeichnungen in ihrem Viertel alle Ehre.

Als ich von meinem Haus gen Place de Catalogne laufe, fragt mich Dominique, ein junger Praktikant der Sprachschule nebenan, ob ich mit zu seiner Stadtführung zu den bekanntesten Perpignan Sehenswürdigkeiten komme, es sei seine erste. Ich komme mit.

Dalis kosmischer Ergasmus

An der Place de Catalogne beginnt Dominique seine Einführung in die Perpignan Sehenswürdigkeiten damit, dass das große Gebäude mit Kuppel am Rande des Platzes der FNAC (eine französische Handelskette) sei. Dann bemerkt er seine ungünstige Formulierung, erzählt, dass dies das historische Kaufhaus sei, das -kurzes Zögern- den Damen Frankreichs gewidmet wurde. Jemand aus der Gruppe lacht, und über mir erblicke ich den Schriftzug Aux Dames de France.

Perpignan Sehenswürdigkeiten à la Dominique: Dalí vor dem Fnac (historisches Kaufhaus) auf der Place de Catalogne.
Perpignan Sehenswürdigkeiten à la Dominique: Dalí vor dem Fnac (historisches Kaufhaus) auf der Place de Catalogne.

Dominique dreht sich um, zeigt auf einen überdimensional hohen Stuhl, auf dem ein riesiger Mann mit ausgebreiteten Armen und weit von sich gestreckten Beinen die ganze Avenue Général de Gaulle in sich aufnehmen zu wollen scheint. „Und das, das ist…”, beginnt Dominique, zögert dann aber. „Arago oder Dalí, aber nein, er hat einen Schnurrbart, also….Dalí”, sagt er. „Ah bon?”, kommt die Frage, “und wieso Dalí? Was hat Dalí mit Perpignan zu tun?” „Ja, ähm”, sagt Dominique, „der Bahnhof. Dalí hat den Bahnhof von Perpignan entworfen. Und dieser Bahnhof war für ihn wie ein kosmischer Ergamus, weswegen er den Anblick für immer von seinem Stuhl aus genießen kann.” Wir schauen uns an. Dann gibt es kein Halten mehr. Als wären wir pubertierende Achtklässler, stehen wir lachend auf der Place de Catalogne, und während einige schon prüfen, ob Dalís Gesichtsausdruck auch seinem kosmischen Orgasmus gerecht wird, steht der arme Dominique nur da und weiß nicht mehr, was er mit seiner Gruppe anfangen soll. Das, beschließe ich in dem Moment, ist die unterhaltsamste Stadtführung, die man in Perpignan nur bekommen kann. Tatsächlich lag Dominique gar nicht falsch, denn wie eine kurze Recherche ergab, hat Dalí tatsächlich eine ähnliche Formulierung benutzt, um über die Vollendung seiner Bahnhofsgestaltung zu sprechen. Weiter hat er diesen scherzhaft  sogar als Zentrum der Welt der rundum aufragenden Pyrenäen bezeichnet, welche um ihn herum entstanden seien – geblieben ist der Schriftzug el centro del món an der bunten Fassade

Definitiv ein Bestandteil der Perpignan Sehenswürdigkeiten: Der von Dalí entworfene Bahnhof.
Definitiv ein Bestandteil der Perpignan Sehenswürdigkeiten: Der von Dalí entworfene Bahnhof.

Wir ziehen mit Dominique weiter entlang des Flüsschens Têt bis zum Castillet, der Catedral Sant Joan Baptista mit dem Friedhof Campo Santo und der Església de Sant Jaume. Ab der Kirche verirren wir uns dann nur noch in kleinen Gassen, in denen Frauen von einem Fenster zum anderen heiße Wortgefechte über Wäscheleinen austragen und Tauben mit Katzen um Baguettebrösel kämpfen.

Blick vom Castillet über die Dächer von Perpignan. Im Hintergrund ist die Kathedrale mit ihrem berühmten Glockenturm zu sehen, der ebenfalls zu den Perpignan Sehenswürdigkeiten zählt.
Blick vom Castillet über die Dächer von Perpignan. Im Hintergrund ist die Kathedrale mit ihrem berühmten Glockenturm zu sehen, der ebenfalls zu den Perpignan Sehenswürdigkeiten zählt.

Schließlich landen wir auf der Place de République, wo Dominique sichtlich erleichtert und auch ein klein wenig stolz das Ende seiner Stadtführung einläutet. Das war es dann wohl erstmal mit Perpignan Sehenswürdigkeiten. Nicht schlimm, denn das schönste an Perpignan sind ohnehin die bunten Gassen und der ständige Blick auf die weißen Pyrenäengipfel. Ein bisschen gleichen die Straßen einem Gang durch Innsbruck, nur eben mit Sicht auf die Pyrenäen statt auf die Alpen.

Zwischen Bergen und Meer

Noch nie war ich so glücklich, in Frankreich zu sein. Vielleicht waren vier Jahre Abstand zu Land und Sprache nötig, um ihre Schönheit wieder zu entdecken.

Der Fluss Têt und die Pyrenäengipfel bannen täglich den Blick aller, die durch die historische Innenstadt schlendern.
Der Fluss Têt und die Pyrenäengipfel bannen täglich den Blick aller, die durch die historische Innenstadt schlendern.

Ich mag es, die weißen Gipfel vor mir zu erblicken, den Saharawind auf der Haut zu spüren und den Abend bei Wein und Baguette ausklingen zu lassen.

Die wahren Perpignan Sehenswürdigkeiten und Sehnsuchtsort Nr.1 beim Stadtbummel für mich: Die Pyrenäen.
Die wahren Perpignan Sehenswürdigkeiten und Sehnsuchtsort Nr.1 beim Stadtbummel für mich: Die Pyrenäen.

Im Abendlicht habe ich den Himmel über den Pyrenäen brennen sehen und kann es kaum erwarten, am Wochenende mitten in die Winterlandschaft Südfrankreichs einzutauchen oder trotz Wind an die Küste nach Collioure zu fahren, ein bisschen Mittelmeerluft im Januar, einfach so.

 

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