La Llagone besitzt laut Internet genau zwei Sehenswürdigkeiten: Die 866 erbaute Kirche Saint Vincent und die Überreste des Turms Tour du Capile, die sich nur wenige Meter von der Kirche entfernt auf demselben Hügel befinden. Beide sind mit Scheinwerfern und Lichterketten ausgestattet. So übersieht man das Dörfchen mit seinen 230 Einwohnern, in dem statt Kleidung Eiszapfen von den Wäscheleinen hängen, Shetlandponies im Garten gehalten werden und der Bus nur zweimal am Tag fährt, schonmal nicht so leicht. Da ich nicht für diese Sehenswürdigkeiten anreise, sondern reiten in La Llagone will, kommt mir die Größe des Ortes sehr gelegen.

Schon im Blablacar von Perpignan nach La Llagone wird mir klar, wie klein der Kreis der Einheimischen in der Cerdagne (katal.Bezeichnung Cerdanya) ist. Der Vater des Jungen, der mit mir im Auto sitzt, hat früher S., die Fahrerin meines letzten Wochenend-Ausflugs nach Font-Romeu, im Pentathlon trainiert. Sowieso scheinen alle jungen Menschen hier das berühmte Sportgymnasium von Font-Romeu besucht zu haben. Es ist fast normal, auf Jugendliche zu treffen, die professionell modernen Fünfkampf trainieren, ausgefallene Sportarten wie Fechten betreiben und nebenher noch Ski fahren, Langlaufen und drei Pferde besitzen.
Zwischen Mont-Louis und Font-Romeu setzt mich meine Fahrerin A. schließlich in La Llagone ab, wo ein Schild stolz verkündet, dass es aus dem Ort beide Söhne des Bürgermeisters im Biathlon in den Olympiakader Frankreichs geschafft haben. Die Begeisterung aller für den Sport liegt greifbar in der eisigen Luft und ist regelrecht ansteckend.

Einmal angekommen, folge ich zunächst einem Wanderer, aus dessen Rucksack das obligatorische Baguette ragt, bis in den kleinen Allesladen von La Llagone. Die Inhaberin begrüßt alle mit Namen und Bise und empfiehlt mir, nach den sorbiers rouges Ausschau zu halten, Ebereschen, deren tiefrote Vogelbeeren bis in den Winter hinein als dichte Büschel in den Ästen hängen. Viele rote Eschen finde ich nicht, dafür laufe ich gemütlich durch den Ort und verfehle auch den Hügel mit Kirche und Turm nicht. Ich genieße erst einmal mein Frühstück, schreibe Postkarten in der Wintersonne und freunde mich mit den Kühen an, die zu dieser Jahreszeit wohl eher wenig Besuch bekommen.


Da ich schon letztes Wochenende festgestellt habe, dass Skifahren in den Pyrenäen leider ziemlich teuer ist, es dafür jedoch unzählige Wanderwege gibt und die Möglichkeit, die verschneiten Landschaften auch zu Pferd zu erkunden, bin ich unterwegs zu den Chevaux de la Tramontane. Claire und Yves führen Sternritte durch und haben schon mehrfach die Pyrenäen hoch zu Ross überquert. Nun teilen sie ihre Pferde und ihre Leidenschaft das ganze Jahr über mit Besuchern und Stammgästen.

Nur wenig später sitze ich im Sattel von Quilby, einem Braunen, der wie ein Schneepflug durch das dichte Weiß prescht und mich mitnimmt in das Winterparadies von La Llagone. Es ist ein Traum und fühlt sich zeitgleich unendlich vertraut und sicher an, endlich wieder durch Tiefschnee galoppieren zu können, den kraftvollen Pferdekörper unter mir zu spüren und die Weite der Gegend zu genießen.

Aus Quilbys Nüstern steigen warme Atemwölkchen auf, während wir über Wiesen und Felder traben, kleine Bäche durchqueren und durch die verschneiten Wälder streifen. Einmal erblicken wir drei Rehe vor uns, zwei Ricken und einen mächtigen Rehbock, die uns aus dunklen Augen neugierig mustern. Im Gegensatz zu den Rehen, die ich auf bisherigen Ausritten antraf, springen sie nicht verschreckt ins Unterholz, sondern verharren ruhig, bis wir vorbeigezogen sind.

Als wir zu einem Flussbett gelangen, an dem das Wasser nur noch langsam durch die eingepuderte Landschaft fließt, zögern die Pferde keine Sekunde. Mit untrüglicher Sicherheit prüfen sie den Uferrand nach angeeisten Stellen, prusten spielerisch auf die Oberfläche und schreiten dann in das hüfthohe Wasser. Einige Minuten ziehen wir so zwischen dunklen Tannen durch den Fluss, während die Schneeflocken um uns tanzen und weiße Kronen auf Mähne und Köpfe setzen. Außer leichtem Platschen und dem gelegentlichen Schnauben der Tiere ist nichts zu hören, und auch als wir wieder am Ufer sind, dämpft der Schnee jeden Hufschlag.
Die Stille hat etwas Magisches, und könnte ich den Begriff von Winterzauber einfangen, so wäre es diese Szenerie von einer Gruppe Reitern, die schweigend durch die Wälder von La Llagone streift.

Als wir wieder beim Offenstall ankommen, reiben wir die Pferde mit Stroh trocken und ich atme ein letztes Mal das einzigartige Aroma von Pferdeschweiß, Heu, Leder, Wachs, Mist und Holz ein, das wohl nur Reiter lieben und vermissen, bevor es wieder zurück nach Perpignan geht. Am Liebsten würde ich dieses Gefühl von warmer Vertrautheit und Winterzauber in einer dieser kitschigen Schneekugeln einschließen, die ich bei Bedarf nur einmal schütteln müsste, um es wieder aufkommen zu lassen.
Anfahrt nach La Llagone
Ab Perpignan fahren die 1€-Busse des départment66 bis nach Mont-Louis, von wo aus man einen weiteren 1€-Bus bis nach La Llagone nehmen kann. Im Winter fährt dieser allerdings nur zweimal täglich, alle Fahrzeiten sind online einsichtbar. Als Alternative gibt es Blablacar, was wegen der vielen Skifahrer und Wanderer ganz gut funktioniert.
Reiten in La Llagone
Da in ganz Cerdagne Sport groß geschrieben wird, mangelt es nicht an Outdooraktivitäten. Reiten in La Llagone ist kein extravagantes Hobby, sondern ganz normal. Im Sommer stehen hier so viele Pferde auf den Wiesen wie andernorts nur Schafe und Kühe. Ich war bei den Chevaux de la Tramontane von Claire und Yves in La Llagone und habe die Abgeschiedenheit der Wälder von La LLagone sehr genossen, Höfe gibt es aber natürlich auch in Font-Romeu und Mont-Louis.