Von Wölfen und Wolpertingern in Font-Romeu

Es ist Samstag, halb acht Uhr morgens, und ich befinde mich im Blablacar mit S. nach Font-Romeu. S. war früher moderne Fünfkämpferin, hat das Sportgymnasium von Font-Romeu besucht und ist nun auf Wochenendbesuch, um Abfahrtsski zu fahren. Ihr Katalan ist beinahe so fließend wie ihr Französisch, und während der knapp zweistündigen Fahrt plappert sie munter drauflos, erzählt mir, dass sie nun wieder in ihrer Heimatstadt Montpellier wohnt und Psychologie studiert.

Etwa 20 Minuten vor Font-Romeu legen wir Schneeketten an.
Etwa 20 Minuten vor Font-Romeu legen wir Schneeketten an.

Wir teilen uns ein Pain au Chocolat, während die Farbe der Wälder um uns von Grün zu Weiß wechselt und vor uns ein altes Viadukt auftaucht, das wirkt wie aus einem der Harry-Potter-Filme. Fast erwarte ich, den Hogwartsexpress über die imposante Steinbrücke namens Le Pont Séjourné tuckern zu sehen, stattdessen durchquert kurz darauf der berühmte train jaune (auch le Canari genannt) die verzauberte Schneelandschaft. Die Außentemperatur beträgt jetzt -10 Grad, und kurz vor Mont-Louis legen wir Schneeketten an. Wir sind noch etwa zwanzig Minuten von unserem Ziel entfernt. In starken Wintern, sagt S., müsse man die Schneeketten schon über eine Stunde vor Font-Romeu anlegen. Die Gendarmerie kontrolliert das, Autos ohne Schneeketten müssen wieder umkehren.

Das Mädchen und der Wolf

E. und ihr "Wolf" in Font-Romeu.
E. und ihr “Wolf” in Font-Romeu.

Als wir in Font-Romeu ankommen, empfängt mich E., die ich über Couchsurfing angeschrieben hatte, in dicken Wintersachen und mit einem frechen Koboldgrinsen. Sie fährt einen türkisen Fiat Panda, aus dessen zersprungenem Seitenfenster ein dunkler Hundekopf guckt, und ist mir sofort sympathisch. Gemeinsam mit ihrem Freund fahren wir zu einer der Skistationen von Font-Romeu, wo er in einem der Restaurants arbeitet.

E.s Hündin hat schon so manche Blicke auf sich gezogen - verständlich!
E.s Hündin hat schon so manche Blicke auf sich gezogen – verständlich!

„Ah, das Mädchen und der Wolf”, begrüßen seine Kollegen E., und sie lacht. Immer wieder, erklärt sie mir, würden Skifahrer und Wanderer, vor allem aber Kinder, ihre Hündin aus der Ferne für einen Wolf halten.

Winter mit Wölfin.
Winter mit Wölfin.

Für einen Wolf ist ihre Hündin etwas zu klein, aber wie sie da wild durch den Schnee tobt und plötzlich hinter Baumstämmen hervorlugt, kann ich den ersten Eindruck der Leute verstehen.

...oder doch?
Wild.

Gemeinsam streunen wir durch die nahen Wälder und genießen den Blick auf die funkelnden Fichtenwipfel. Ab und an fällt Schnee von den Zweigen, eine glitzernde Brise im Sonnenlicht, welche die Hündin kläffend zu erhaschen versucht.

In den Wämdern von Font-Romeu.
In den Wämdern von Font-Romeu.

Aus der Ferne ist ein leises Wshhh, Wshhh zu hören, das Rauschen und Lachen der Skifahrer auf den Pisten, die mitunter reine Waldabfahrten sind. Da E. noch Bekannte besuchen und einen Kuchen backen will, begeben wir uns wieder in den Innerort, und ich mache mich auf zum musée sans murs in Font-Romeu.

Schneegalerie: Das musée sans murs in Font-Romeu

Das musée sans murs in Font-Romeu: Le monde est trop petit pour qu'il y ait des murs.
Das musée sans murs in Font-Romeu: Le monde est trop petit pour qu’il y ait des murs.

Die Welt ist zu klein für Mauern.

Das musée sans murs in Font-Romeu, wörtlich das Museum ohne Mauern, ist eine Freilichtgalerie bestehend aus Kunstobjekten und in Holz gefrästen Zitaten, welche im Abstand von mehreren hundert Metern in der Landschaft verteilt sind.

Die Kunst ist ein Schritt der Natur gen Unendlichkeit.

Ein genauer Pfad ist im Schnee nicht auszumachen, doch vereinzelt erscheinen Wegweiser für das musée sans murs in Font-Romeu zwischen den Spuren der Schneeschuhwanderer und unberührten Lichtungen. Aus Snowboards und Ski gebaute Bänke erheben sich über dem Pulverschnee, und immer wieder ragt die auf Holztafeln eingefasste Winterpoesie aus dem Boden.

Die größte Kunst ist die des Träumens.

Bänke aus Ski und Winterpoesie im musée sans murs in Font-Romeu.
Bänke aus Ski und Winterpoesie im musée sans murs in Font-Romeu.

Der Wolpertinger aus den Pyrenäen

Einmal kommt mir ein älteres Pärchen entgegen, und als wir nur noch wenige Schritte voneinander entfernt sind, ruft mir der Mann zu  „Mademoiselle, il y a un dehu là-bas!”.  

Ein was?”, frage ich verwirrt und überlege, ob ich das Wort dahu schon einmal gehört habe. Habe ich nicht. Es handelt sich, wie mir seine Frau dann belustigt erklärt, um das, was in den Alpen gemeinhin als Wolpertinger bekannt ist. Ein Fabelwesen, das laut Überlieferung eine Kreuzung aus Wolf, Reh und Raubvogel darstellt und ausschließlich von jungen, hübschen Frauen in der Abenddämmerung gesichtet werden kann. Der Letzte Teil dieser Sage war mir unbekannt, ich habe diesen dann aber einfach mal als Kompliment aufgefasst.

Winterfreude in Font-Romeu.
Winterfreude in Font-Romeu.

Ohnehin scheinen die Leute hier gerne Witze zu machen, so hat der Zugfahrer im Zug von Collioure nach Perpignan angekündigt, man müsse sich gut festhalten, da nun die Reise nach Narnia beginne, während die stehenden Passagiere bei dem starken Ruckeln gegen die Wände gepresst wurden. Im Flixbus nach Perpignan wiederum verkündete der Fahrer fröhlich, Whirlpool und Fitnessstudio befänden sich in der oberen Etage, ebenso wie seine Servicemitarbeiter, die Beschwerden für der Zustand der Toilette annehmen würden.

Die Einsiedelei Notre-Dame in Font-Romeu.
Die Einsiedelei Notre-Dame in Font-Romeu.

Da das Paar mir noch empfiehlt, auch Le calvaire zu besuchen, laufe ich an der Einsiedelei L’ermitage Notre Dame vorbei zu dem Hügel mit den drei Kreuzen. Während des Aufstiegs komme ich an den letzten Kreuzwegstationen vorbei. Vor einigen liegen frische Blumen im Schnee und angebundene Rosenkränze schwingen im Wind. Oben bei den Kreuzen angekommen, bricht die Sonne aus der Wolkendecke, lässt Eiszapfen aufleuchten und ermöglicht einen 360°-Panoramablick bis zum 2.784m hohen Gipfel des Canigou.

Unterwegs zum Calvaire von Font-Romeu.
Unterwegs zum Calvaire von Font-Romeu.

Ich sehe einem Stück Eis zu, wie es in meiner Hand zu einem frostigen Rinnsal taut, betrachte die dunklen Wälder und freue mich schon auf die Wanderung zum Lac des Bouillouses am Folgetag, bevor ich mich wieder an den Abstieg mache.

Der Himmel brennt

Und schließlich habe ich ihn, den Anblick, auf den ich schon seit meiner Fahrt von Barcelona nach Perpignan sehnlichst hoffe. Orange und pinke Wolken ballen sich über den Gipfeln der Pyrenäen zusammen, scheinen in die Berge hineingesogen zu werden, während an ihren Rändern die letzten Strahlen des Tages aufglühen. Der Himmel über den Pyrenäen brennt, und im Schein der untergehenden Sonne erwachen Mystik und verlassene Gebäude wieder zum Leben.

Der Himmel brennt über dem verlassenen Gebäude und den Pyrenäen.
Der Himmel brennt über dem verlassenen Gebäude und den Pyrenäen.

Anfahrt nach Font-Romeu

Ab Perpignan fahren die 1€-Busse des départment66 bis nach Mont-Louis, von wo aus man einen weiteren 1€-Bus bis nach Font-Romeu nehmen kann. Alle Fahrzeiten sind online einsichtbar. Als Alternative gibt es Blablacar, was wegen der vielen Skifahrer und Snowboarder im Winter hervorragend funktioniert.

 

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